Flugblattaktion Tordesillas / Toro de la Vega
Wie jedes Jahr wird wieder im September dieses Schauspiel stattfinden, das Übelkeit verursacht, das die Vernunft herabsetzt, das die Gefühle erschüttert und das die Tränen in die Augen treibt. Vor Wut, vor Hilflosigkeit, vor Schmerz gegenüber eines absurden und unsinnigen Leidens eines Stiers, der einer langen Folter ausgesetzt ist, vor dem Anblick dieser Lanzen, die sich in seinen Körper bohren, vor den blutigen Wunden, aus denen er langsam aber sicher die Kraft und das Leben verliert, vor der Verherrlichung dessen, dem es gelingt, ihm den Todesstoß zu versetzen und das alles geschützt von einem Gesetz, das die von uns Erwáhlten erlassen haben, von denen man annimmt, dass sie uns aus der Rückständigkeit und aus der Unkultur führen.
Julio Ortega Fraile, Auszug eines Artikel, veröffentlicht 2008 in El Pais
Alle Tiere besitzen eine Seele und wir Menschen müssen sie lieben und uns mit unseren kleinen Brüdern solidarisch fühlen. Sie stehen nah bei Gott, genau wie wir Menschen und sie verdienen all unseren Respekt.
Papst Johannes Paul II, 1920 – 2005
Leider konnte auch dieses Jahr der “toro de la vega”, das schrecklichste Volksfest Spaniens, bei dem ein hilfloser Stier von einer Männerhorde mit Lanzen gehetzt und sprichwörtlich abgestochen wird, nicht verhindert werden.
Zu mächtig scheint die Lobby des „patronato del toro de la vega“ zu sein, als dass die Bürgermeisterin von Tordesillas es wagte, sich ihr zu entgegenstellen. Es scheint, als ob sie den Mut, die Moral und den gesunden Menschenverstand in einer Ecke des Saales lies, in dem sie ihr Amt einschwor.
„Man weiß wirklich nicht, ob es der fehlende Mut ist, sich einem Teil der Bevölkerung ihres Dorfes entgegenzustellen, oder ob es wirklich fehlende persönliche Moral und Ethik sind, die sie dazu treiben, Jahr für Jahr einen Stier von den Bürgern ihres Ortes abstechen zu lassen“.
Carles Marco, Gemeindepolitiker, PSOE, in einem offenen Brief an Frau Zarzuela, Bürgermeisterin von Tordesillas)
Dank eines großzügigen Sponsors im Kampf gegen Stierkampfaktivitäten, dessen vollstes Vertrauen wir besitzen (von hier aus einen lieben Gruß und ein herzliches Dankeschön) konnten wir eine Flugblattaktion in Tordesillas beginnen, in denen dieses unmenschliche Turnier angeprangert wird, um die Bürger dieses Ortes zum Nachdenken zu bewegen. Insgesamt sandten wir in zwei Wochen 9.000 (drei verschiedene) Flugblattentwürfe nach Tordesillas und Umgebung.
Regelmäßig werden ab jetzt solche Flugblattaktionen nicht nur in Tordesillas durchgeführt werden, sondern in ganz Spanien. Wir werden uns vor allem an die Bürgermeister aller Gemeinden Spaniens wenden, mit ausgewählten Texten aus denen klar hervorgeht, dass der Stierkampf und die Volksfeste mit Stieren, Kühen und Kälbern ethisch und moralisch nicht vertretbar sind und der Vergangenheit angehören sollten.
Aufgrund dieser Aktion lernten wir auf der Post, bei der wir diese Flugblätter aufgaben, einen netten Beamten kennen, der aus Zamora (Nähe Tordesillas) kommt und Familie in Tordesillas besitzt.
Von ihm erfuhren wir, dass 80 % der Bevölkerung von Tordesillas gegen die Hatz, Folter und Tod eines Stieres ist und ihr Dorffest lieber ohne Blutvergießen feiern würden.
Laut des Postbeamten kommen diese „Wilden“, wie er sie nannte, aus den umliegenden Dörfern und bringen Tordesillas europaweit in Verruf. Tordesillas nimmt in der Geschichte Spaniens eine sehr wichtigen Platz ein, dessen Ruf aber offiziell seit 1999 überschattet wird, dem Jahr, in dem diese Blutorgie von der Landesregierung von Kastilien und León zum regionalen touristischen Interesse erklärt wurde. Die gesamten drei Jahrhunderte zuvor lag diese Stierhatz in der Illegalität.
Über den Beginn des „toro de la vega“ gibt es zwei Legenden. Die erste Stierhatz durch den Mob soll unter Pedro I de Castilla, El Cruel (Peter, der Grausame) 1334 – 1369, zu Ehren seiner neugeborenen Tochter Isabel stattgefunden haben und wird daher als das älteste Volksfest mit Stieren Spaniens identifiziert. Die andere Version soll unter Isabel I de Castilla, 1451 – 1504, begonnen haben, als diese während eines Besuches in Tordesillas von einem wildlebenden Stier angegriffen worden sein soll und ein mutiger Ritter sich dem heranstürmenden Tier mit einer Lanze in den Händen entgegengeworfen und den Stier so getötet haben soll. Wie dem auch sei: es handelt sich um ein perverses Vergnügen, das des Menschen unwürdig ist.
Im Jahre 1966 arbeitete die Festkommision von Tordesillas ein Dokument mit Datum vom 05.09.1966 aus, in dem die Grundlagen dieses Turniers festgelegt wurden und in dem Dokument heisst es ganz klar, dass …..“der Stier nicht mit Lanzen angegriffen und durch sie verletzt werden wird, sondern er von Ochsen begleitet und beschützt wird, bis hinaus auf die Flussaue des Duero, was den Abschluss der „fiesta“ einleitet und ohne, dass die Rinder durch Schläge oder Zufügen von Wunden verletzt werden und das Schauspiel auf das Führen und Eintreiben der Stiere begrenzt“…..
Doch der Mob, diese Wilden, wie sie unser netter Postbeamter nennt, setzen sich fröhlich über diese Statuten hinweg und ohne, dass die bisherigen Bürgermeister dies unterbanden und frönen einem falsch verstandenen Männlichkeitswahn. Ich kann mir schon vorstellen, wie sie sich gegenseitig feiern, wenn sie in den Kneipen sitzen und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen, wie mutig sie doch waren, als sie nur 10 cm von dem wilden Stier entfernt waren und wie sie gerade noch eben die schützende Mauer erklommen um nicht von diesem Ungetüm aufgespießt zu werden. Na, und dann erst der „Held“ des Tages. Er ist der blanke Neid aller Männer des Ortes. Jeder von ihnen hätte zu gerne derjenige sein wollen, der mit eigenen Händen dieses wilde Tier erlegt.
Caroline Waggershauser